Hallo, mein Name ist Gülay, und ich möchte euch heute von meinem Vater erzählen, von seinem und auch unserem Schicksal.
Es geschah vor zwei Jahren. Mein Vater war 68 Jahre alt, als er eines Nachts eine Gehirnblutung erlitt. Durch ständiges Nasenbluten und mit starken Kopfschmerzen begleitet machte sich sein Unwohlsein schon früh bemerkbar.
In dieser Nacht rang er nach Luft, und ich verstand sofort, dass ich Erste Hilfe leisten musste. Die Situation war kritisch, aber er überlebte. Im Krankenhaus kam er in die Notaufnahme und musste sich einer Operation unterziehen. Das Kleinhirn war so geschädigt, dass es entfernt werden musste. Nachdem er zwei Wochen im Koma lag, kam er endlich zu sich. So seltsam es auch klingt, aber von da an ging der Albtraum los, denn mein Vater war nicht mehr derjenige, der er einst war. Er war in seinen motorischen Fähigkeiten sehr eingeschränkt. Monate verbrachte er in der Klinik und Reha. Aufgrund von Corona konnten meine Familie und ich ihn nicht mehr besuchen. Die Sehnsucht war zu groß, dass die Onlinetreffen nicht ausreichten. Nachdem er zwei Wochen im Pflegeheim gelebt hatte, haben wir entschieden, dass er zu mir zieht. Ich wusste, dass es eine große Herausforderung sein würde, vielleicht war es das Beste für meinen Vater. Das ständige Liegen und Schlafen verhinderten ein lebenswertes Leben, und so beschloss er, etwas zu ändern. In dieser schwierigen Zeit standen mir meine Geschwister, Kinder und Nachbarn zur Seite und unterstützen mich, wo es nur ging. Unsere Liebe und Aufmerksamkeit für meinen Vater stärkten ihn. Er machte Fortschritte, konnte wieder laufen, lachen und essen. Auch alle Schläuche in und um seinen Körper und die künstliche Ernährung brauchte er nicht mehr.
Ich sehe diese Situation als Teil meiner Lebensprüfung, ihm zu helfen. Schließlich hatte er sich um uns gekümmert, als wir Kinder waren. Jetzt sind wir verantwortlich für ihn, und diese Prüfung haben wir erfolgreich bestanden. Jede mögliche Therapie nahmen wir für ihn in Anspruch. Es stand nur noch eines im Mittelpunkt: die Gesundheit unseres Vaters. Ich bin voller Hoffnung und Zuversicht, dass er eines Tages sprechen und „meine Tochter“ zu mir sagen wird. In diesem Moment werde ich wohl die Glücklichste auf Erden sein.
Jeder Mensch sollte sich bewusst sein, dass die Gesundheit etwas sehr Wertvolles ist. Wenn man beeinträchtigten Menschen im Alltag begegnet, dann sollte man keine Angst vor ihnen haben. Im Gegenteil: Redet mit ihnen und bietet eure Hilfe an. Wenn jede*r seinen Beitrag leistet, wird die Welt ein Stückchen besser und der Alltag für manch andere einfacher.
Vielleicht wird mein Vater irgendwann sprechen und lesen können, dann werde ich ihm seine Geschichte erzählen.
Wir lieben dich, Vater. Wir sind so froh, dass es dich gibt!