Hallo, mein Name ist Naime Yıldırım. Nach einer komplikationslosen Schwangerschaft bekam ich mein zweites Kind, Zahide. Ihre Entwicklung war im Vergleich zu ihrem Bruder ab dem sechsten Lebensmonat anders.
Sie war ein ruhiges und sorgenloses Kind, das viel geschlafen hat. Sie zeigte kein Beugen und Strecken der Arme. Sie antwortete nicht, wenn man freundlich mit ihr sprach. Spielzeuge konnte sie nicht mit beiden Händen ergreifen. Das freie Sitzen mit geradem Rücken war nicht möglich. Es war keine Sprachentwicklung zu sehen. Sie konnte auch nicht krabbeln und allein stehen. Der Kinderarzt meinte bei den U-Untersuchungen, dass sich jedes Kind unterschiedlich entwickelt und sie eventuell Zeit braucht. Das hat mir Sorgen bereitet. Ich hatte eine innere Unruhe und wusste, dass etwas nicht stimmte. Deswegen wollte ich mir eine zweite Meinung holen und habe gleichzeitig in dieser Zeit den Kinderarzt gewechselt. Der neue Kinderarzt stellte schnell fest, dass Zahide eine körperliche Entwicklungsverzögerung hat. Ihr Muskelaufbau war geschwächt, weshalb sie zur Physiotherapie musste. Nach einer erfolgreichen Physiotherapie konnte sie dann sitzen. Bis zum 18. Lebensmonat ging es mit der Physiotherapie weiter.
Es war ein ganz normaler Tag. Wir waren bei einer Freundin zuhause und Zahide saß auf dem Teppich mit Spielzeug um sich herum. Ich bemerkte, dass sie einen starren Blick bekam. Sie fing an die Augen zu schließen und ich dachte, dass sie müde ist. Dann wurden ihre Lippen blau, auch ihre Finger liefen blau an. Ich geriet in Panik. Es kam kein Lebenszeichen mehr von ihr. Ich packte meine Tochter und rannte auf die Straße. Ich habe schnell meinen Vater angerufen, weil mein Mann bei seinen Eltern in der Türkei war. Als meine Tante von dem Vorfall hörte, kam sie mir entgegen und fuhr uns ins Krankenhaus.
Im Krankenhaus bekam Zahide Sauerstoff. Wir wurden stationär aufgenommen und es wurden Untersuchungen durchgeführt, von denen ich keine Ahnung hatte. Was ist denn ein EEG? Kernspintomographie? Oder was ist ein EKG? Ich wusste es nicht und niemand hat es mir erklärt. Diese Fachbegriffe waren mir zu diesem Zeitpunkt fremd. Die Ärzte hatten einen Verdacht auf Epilepsie. Da Zahide das erste Mal und auch nur einmal gekrampft hat, wurden ihr keine Medikamente verordnet. Monate später hat sie wieder angefangen zu krampfen. Und danach waren wir fast jedes Wochenende im Krankenhaus. Es wurde festgestellt, dass sie Medikamente braucht. Es hat zwei bis drei Jahre gedauert, bis das richtige Medikament gefunden wurde.
In dieser Zeit merkte ich, dass ihre Entwicklung sehr stark verzögert war. Sie konnte nicht sprechen. Wenn sie etwas wollte, dann schrie sie oder sie zeigte mit ihrem Finger drauf. Blickkontakt konnte sie nicht halten. Unter mehreren Personen fühlte sie sich nicht wohl. Auf dem Spielplatz konnte sie nicht spielen, weil sie anders war. Die Kinder haben sie immer ausgestoßen. Ich musste mir immer anhören, was für ein verwöhntes Kind ich habe. Daraufhin wollte ich nicht mehr raus mit Zahide.
Mit vier Jahren ging Zahide in den Kindergarten in der Rohräcker Schule. Ich war erleichtert, da ich etwas Zeit für mich hatte. In den Kindergarten ging sie sehr gerne, weil sie dort verstanden wurde. Sie war sehr glücklich, denn dort wurde sie einfach als Zahide aufgenommen.
Ihre Diagnose Epilepsie war nicht ausreichend für mich. Es hat irgendwas gefehlt. Ich sprach mit meiner Fachärztin darüber. Meine Fachärztin meinte aber, dass es wichtig ist, dass Zahide jetzt nicht krampft. Mein Mann und ich hatten damals ihr Verhalten und ihre Symptome recherchiert. Wir als Eltern hatten einen Verdacht auf Autismus. Unser Verdacht hat sich bestätigt, als ein neuer Facharzt kam, der uns zum Kinderpsychiater überwiesen hat. Durch viele Therapiestunden wurde der Autismus bei Zahide im Alter von zwölf Jahren bestätigt.
Inzwischen ist Zahide 15 Jahre alt. Sie besucht derzeit die SBBZ-Schule in der Hauptstufe. Dort ist sie glücklich. Sie hat viele Freunde und kann mittlerweile auch mit Fremden kommunizieren. Zahide ist sehr lebhaft. Sie spricht, erkennt Zahlen und malt gerne. Sie hat die Begabung, Stimmen perfekt nachzuahmen. Sie bekommt es so gut hin, dass ich manchmal denke, dass ihr Lehrer bei uns zuhause ist.
Als Mutter musste ich sehr viel durchmachen. Damals mit 24 musste ich mit vielen Krankheiten klarkommen. Es hat lange gedauert, das alles zu verarbeiten. Ich habe mich alleine und ausgestoßen gefühlt. Ich war sehr sensibel und hatte schlaflose Nächte. Ich hatte Angst, dass Zahide einen Krampf bekommt. Es war schlimm für mich, mit ihr rauszugehen, weil sie sich eben anders verhielt. Alle haben blöd geschaut und immer musste jemand einen Kommentar abgeben. Ich musste mich entschuldigen und viel streiten. Deswegen haben wir viel Zeit zuhause verbracht.
Ich war in sehr vielen Kliniken mit Zahide. Man sagte mir, dass sie keine Fortschritte machen wird. Sie würde in ein Wohnheim kommen mit Kindern, die so sind wie sie. Ich sollte sie schon jetzt in so einem Wohnheim anmelden, damit ich auch noch ,,ein Leben“ habe. Aber ich kann und will meine Tochter niemals in so ein Heim einsperren.
Bis ich eine Bestätigung für ihren Autismus bekam, besuchte ich Fortbildungen und fing an, sie besser zu verstehen. Auch heute bekomme ich viele Tipps vom Autismus-Zentrum, um das Leben von Zahide und mir zu erleichtern. Inzwischen unterstütze ich Familien mit besonderen Kindern. Ich kann sie verstehen und ich will ihnen beistehen und helfen.
Als Mutter habe ich immer noch Angst um sie. Ich frage mich, was wäre, wenn ich nicht da wäre. Wer würde Zahide verstehen und sie so aufnehmen, wie sie wirklich ist? Ich weiß nicht, was ich noch erleben werde. Ich bin Gott dankbar, dass ich sie als Tochter habe. Durch sie habe ich gelernt. Wir haben gemeinsam gelernt. Es ist eine Prüfung für mich. Ich werde immer für sie da sein. Ich werde immer versuchen, sie zu verstehen. Und niemals werde ich versuchen, sie zu ändern.
Naime Yildirim
Mutter von Zahide