Hallo liebe Leser, mein Name ist Murat. Mein Vater kam Ende der sechziger Jahre als Gastarbeiter aus der Osttürkei nach Deutschland.
1974 holte er mich nach. 1976 fing ich an, den Kindergarten hier im Ort zu besuchen. Ende der siebziger Jahre wurde ich eingeschult. Gleichzeitig bemerkte ich und auch meine Lehrerin, dass ich mit den Augen Schwierigkeiten hatte. Das war so schlimm, dass ich die Tafel nicht erkennen konnte. Im ersten Jahr war es nicht schlimm, aber im zweiten Jahr wurde es immer schlimmer, so dass meine Deutschlehrerin mit Hilfestellungen überfordert war. Für sie war das auch nicht einfach mit knapp 30 Kindern in der Klasse. Sie empfahl mir, eine Schule für Sehbehinderte und Blinde zu besuchen. Wir haben herausgefunden, dass es so eine Schule gibt. Ich fuhr mit meinem Vater dorthin, um mir die Einrichtung anzusehen. Mein Vater war erschrocken, da in dieser Schule nicht nur sehbehinderte und blinde Menschen waren, sondern auch körperlich und geistig behinderte Menschen. Daraufhin entschied ich mich zusammen mit meinem Vater gegen diese Einrichtung.
Ich kam in die Sonderschule in der Nähe meines Heimatortes, wo wir mit meinem Vater seit 1974 lebten. Dort besuchte ich die Schule bis zur neunten Klasse. Da ich aber kein Sonderschüler war, habe ich eine zehnte Klasse besucht. Ich habe die Hauptschule mit einer sehr guten Note erfolgreich abgeschlossen.
Mit 18 Jahren erfuhr ich von der Universitätsklinik Würzburg, dass ich eine Retinitis Pigmentrosa Erkrankung habe, und dass diese mit der Zeit höchstwahrscheinlich zur Erblindung führen würde. Ich sollte mein Leben danach ausrichten.
Daraufhin habe ich eine Ausbildungsmöglichkeit für Blinde und Sehbehinderte gesucht. Durch Bekannte erfuhr ich, dass es in Veitshöchheim eine Möglichkeit gab, eine Ausbildung zum medizinischen Bademeister zu machen. Davor sollte man noch Kurse belegen. Diese Ausbildung wollte ich sehr gerne machen, weil sich der Beruf sehr interessant anhörte. Also meldete ich mich bei der Arbeitsagentur an und schlug diese Ausbildung für mich vor. Danach gab es eine Probearbeitszeit in der Einrichtung in Veitshöchheim. Dort wurde mir mitgeteilt, ich könnte sehr gerne diese Ausbildung machen, aber ich müsste vorher eine Grund-Reha belegen. Dies ist für blinde Menschen oder auch hochgradig sehbehinderte Menschen erforderlich, damit sie sich für die Zukunft vorbereiten können.
Das tat ich dann auch und anschließend begann ich mit dem Vorkurs der Ausbildung zum medizinischen Bademeister und Masseur.
Nach zwei Monaten teilte mir mein Vater mit, dass er in die Türkei zurückgehen wollte. Ich sagte meinem Vater, dass ich in Deutschland bleiben und hier meiner Arbeit und meiner Ausbildung nachgehen wollte. Daraufhin beschloss ich, dass ich eine andere schnelle Ausbildung benötigte, und ich informierte mich bei den Leuten in Veitshöchheim. Man schlug mir die Ausbildung zum Telefonisten vor, wo ich mich auch gleich anmeldete. Und diese Ausbildung dauerte ein Jahr, und ich beendete sie mit einem Abschluss.
Daraufhin habe ich 1994 in einer hessische Behörde als Telefonist angefangen. Nach kurzer Zeit gehörten zu meiner Tätigkeit nicht nur telefonieren, sondern auch Abrechnungen von Telefongebühren und Umzugsplanung. Und nach einigen Jahren beauftragte mich mein Vorgesetzter, noch den Einkauf von Büro- und IT-Bedarf, etc. zu übernehmen.
2018 wurde ich durch die Beschäftigten zur Vertrauensperson der Schwerbehinderten gewählt. Einen Monat später wurde ich zur ersten stellvertretenden Gesamtschwerbehinderten-Vertretungsperson gewählt. Diese Tätigkeit übe ich heute noch aus und bin sehr zufrieden, dass ich meine Kolleginnen und Kollegen bei ihren Problemen unterstützen und Hilfe leisten kann.
Ich möchte euch nur mitteilen, egal welche Behinderung ihr habt, egal welche Sprache ihr sprecht, ihr müsst euch nur Ziele setzen, und dann habt ihr in Deutschland fast jede Möglichkeit, beruflich weiterzukommen. Ihr müsst nur den Willen haben, weiterzumachen.
Ich danke euch für eure Zeit, die ihr euch genommen habt und wünsche euch viel Erfolg.