Interview mit Tayfun Şenel in der Textversion

Hallo Tayfun, schön, dass wir uns treffen können. Stell dich doch bitte kurz vor: Wer bist Du, was machst Du?

T: Also mein Name ist Tayfun Şenel. Ich bin 27 Jahre alt, wohne im Raum Stuttgart, studiere im Moment Wirtschaftsingenieurwesen und bin geboren in Berlin.

Ja, gut, wenn wir schon bei der Geburt sind: Fang doch mal ganz vorne an …

T: Also Mukoviszidose wurde bei mir direkt bei der Geburt festgestellt, da ich einen Darmverschluss hatte. Ich musste sozusagen direkt schon operiert werden. Und das war dann auch echt ein Schock für meine Eltern, weil die nicht wussten, was die Krankheit ist. Natürlich hatten die auch ihre Zweifel und ihre Ängste, aber es hat sich alles im Laufe der ersten Jahre sehr ins Positive entwickelt.

Mukoviszidose – was ist das?

T: Mukoviszidose ist eine erbliche Stoffwechselerkrankung. Und bei Mukoviszidose ist eben das Problem, dass der Wasser- und Salzhaushalt in den Zellen nicht mehr so gut funktioniert.
Das heißt, dass normalerweise die Sekrete flüssig sind, bei normalen Menschen. Und bei mir sind sie eben zähflüssig. Das heißt: Die Bakterien können sich auf diesem Schleim eben perfekt ausbreiten und diese Bakterien führen dann zu Entzündungen in der Lunge. Und dann kommt es dazu, dass dieses Zähflüssige andere Organe sozusagen auch verstopft, und diese Verstopfung führt dann auch zu anderen Entzündungen – zum Beispiel zu Leberzirrhosen. Also das sind ganz viele Bereiche, die betroffen sind: Lunge, Leber, Darm, Bauchspeicheldrüse …  Manche haben mehr Ausprägung in der Lunge, manche eher weniger. Je nach dem. Also das ist wirklich sehr individuell.

Wie war es dann für dich als Kind mit Mukoviszidose?

T: Also meine Kindheit war eigentlich sehr unbeschwert. Ich hatte eine super Kindheit: Immer gespielt und eigentlich nie Sorgen. Ich musste natürlich von Kind auf auch Medikamente nehmen. Hatte auch Physiotherapie. Aber alles in allem war ich eigentlich wie alle anderen Kinder auch. Also ich musste jetzt nicht irgendwie eine Klasse sitzen bleiben oder in einen anderen Kindergarten gehen oder eine andere Schule besuchen. Im Laufe der Jahre, so im Jugendalter mit 14-15, haben sich dann aber meine Leberwerte verschlechtert, muss ich sagen – was aber noch nicht so extrem war. Meine Lungenfunktion ist aber auch im Laufe der Jahre immer schlechter geworden.

Du meintest, die Ausprägung sei immer sehr unterschiedlich. Warum und … wie war es bei dir?

T: Man weiß heute nicht, warum manche Organe mehr betroffen sind und manche nicht. Und bei mir war es eben der Fall, dass meine Leberwerte immer mehr gestiegen sind, auf Grund dieser Entzündungen, die in diesen Kanälen dann eben stattfinden.
Dadurch ist meine Krankheit, also meine Leberfunktion, eben immer schlechter geworden, bis sich dann eine Leberzirrhose entwickelt hat.

Wie hat sich das bemerkbar gemacht?

T: Ich wurde dann immer häufig müde, ich war schlapp, ich habe abgenommen.
Und dann hat sich im Laufe der Jahre auch ein Diabetes noch entwickelt bei mir, ich musste Insulin spritzen.

Und, wie bist du damit klargekommen?

T: Es wurde alles in allem eben ziemlich schwierig für mich.
Aber trotz allem habe ich mein Abitur auch noch geschafft – zum Glück.
Und dann zwischen meiner Ausbildung und meinem Abitur ein Jahr Zeit gehabt, wo es mir dann aber auch ziemlich schlecht ging.
Ich war dann auch auf der Reha. Und das war dann auch die Zeit, in der wir mit den Ärzten beschlossen haben, dass ich mich für eine Transplantation sozusagen listen lasse und die ersten Untersuchungen mache.

Und um welche Organe ging es dann, die transplantiert werden sollten?

T: Zuerst war die Frage, ob wir vielleicht die Lunge transplantieren, weil die Lunge auch ziemlich schlecht war. Die Leberfunktion war eben auch schlecht.
Also war die Überlegung, ob wir beide transplantieren. Und dadurch haben wir dann erst erreicht, dass die Lungenfunktion besser wurde. Und als die dann gut genug war, haben wir gesagt:
„Okay, jetzt ist sie dann gut genug für eine Lebertransplantation. Also es reicht.“
Und da ich jetzt auch schon Diabetes hatte, hat man dann auch die Überlegung gehabt, dass man die Bauchspeicheldrüse und die Leber direkt zusammen transplantiert. Und ich dachte:
„Ok, ich will ja weiterleben!“
Die Aussichten waren gut, und ich habe dann gesagt:
„Also ich mach das auf jeden Fall!“
Da habe ich tatsächlich … also natürlich hatte ich meine Bedenken und meine Ängste vor einer großen OP, aber die waren nicht so groß, als dass ich gesagt hätte:
„Ich würde das nicht machen.“

Und dann? Wie lange musstest du warten?

T: Ich glaube, ich wurde gelistet und tatsächlich einen Monat später, also im Mai 2015, wurde ich dann schon transplantiert.

Es ging dir besser dadurch?

T: Alles in allem hat sich mein Allgemeinzustand wirklich extrem verbessert. Meine Lungenfunktion hat sich dadurch verbessert, und ich hatte kein Diabetes mehr. Ich musste kein Insulin mehr spritzen und alles in allem war es einfach – also ist es deutlich besser geworden. Also ich fühle mich wirklich befreit.

Musstest du direkt nach der Transplantation irgendwas beachten?

T: Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war eigentlich das Erste, dass man natürlich darauf achten soll, dass man jetzt nicht in große Menschenmengen reingeht. Oder irgendwohin, wo viele Menschen sind. Wegen dem Risiko, dass man sich da anstecken könnte.
Dass man im Winter jetzt nicht in volle Züge steigt, wo alle irgendwie Grippe haben oder erkältet sind. Ja, einfach solche Orte zu vermeiden.  Ich musste darauf achten, dass ich nicht zu lange in die Sonne gehe, weil die Medikamente, die ich nehme – also diese Immunsuppressiva – einfach auch dafür sorgen, dass ich lichtempfindlicher bin und es häufiger dazu kommen kann, dass man Hautkrebs entwickelt.

Wie ging es dir psychisch damit, die Organe einer anderen Person in dir zu haben?

T: Psychisch muss ich sagen: Das war natürlich zu Beginn erstmal schon ein bisschen komisch, die Organe von einer anderen Person zu haben.
Aber für mich waren so die positiven … ja, die positiven Dinge danach eigentlich eher in meinem Kopf, so dass ich sagen konnte: Ok. Ich musste nicht mehr darauf achten, dass ich zum Essen Tabletten nehme.  Ich hatte weniger Verdauungsprobleme. Ich hatte kein Diabetes mehr.
Also durch die Vorteile, die ich dadurch hatte – und viele Sorgen sind dann halt auch einfach weggefallen – muss ich sagen, ging es mir psychisch danach deutlich besser.  Und ich habe das Gefühl gehabt, dass meine Krankheit nicht mehr nur im Mittelpunkt war – also mein Leben hatte sich um meine Krankheit sozusagen gedreht, also um die Zukunft und Entscheidungen. Und das war nicht mehr so.  Also es war … es ist zwar jetzt ein Teil von mir, aber es bildet nicht mehr so meinen Lebensmittelpunkt ab.

Wie hast du das alles geschafft, woher hast du die Kraft genommen?

T: Was meine Mutter mir damals mitgegeben hat, wo es mir wirklich nicht gut ging:
Niemals die Hoffnung verlieren.
Weil … wenn man die Hoffnung einmal verloren hat, dann … gibt es auch nichts mehr.
Das hat mir meine Mutter wirklich eingeprägt:  Einfach nicht die Hoffnung verlieren.
Auch in Momenten, wo man denkt, dass es einfach nicht mehr weitergeht …
Es gibt immer irgendeinen Ausweg …
Mittlerweile denke ich den ganzen Tag so gut wie gar nicht mehr über meine Krankheit nach.

Wow, ok. Nach all dem, was du erlebt hast – Organtransplantation ist ja ein viel diskutiertes Thema. Wie stehst du dazu?

T: Also die Organtransplantation hat mir im Endeffekt auch mein Leben gerettet. Ich denke, man merkt erst, wie wichtig die Organtransplantation ist, wenn man entweder selbst betroffen ist oder wenn irgendjemand aus dem Verwandten- beziehungsweise Bekanntenkreis wirklich ein Organ braucht. Also dessen sind sich nicht so viele bewusst.
Man denkt immer, das ist so in weiter Ferne.
Aber es kann im Endeffekt jeden treffen, und ich kann einfach nur dazu aufrufen.
Ich meine, man sieht es an mir. Und meine Freunde und meine Familie sehen, was es mir gebracht hat. Welche Vorteile ich dadurch hatte, wie es mir jetzt geht und wie es mir davor ging.
Und dass ich einfach weiterleben kann, und das sogar sehr, sehr gut.
Also viele Beschwerden sind sozusagen weg. Ich wünsch mir, dass jeder zumindest mal darüber nachdenkt, wie wichtig Organtransplantation ist und wie viele Menschenleben das retten und verbessern kann.

Aber man sieht es dir ja nicht an. Musst du dir trotzdem – oder gerade deshalb – manchmal blöde Kommentare anhören?

T: Meine Erkrankung ist schon so, dass man mir von außen nichts ansieht. Ich bekomme natürlich kein Mitleid im ersten Schritt, das vielleicht andere Menschen mit Behinderung bekommen – was natürlich auch nicht gut ist. Bei mir ist es dann eher so, dass halt Kommentare kommen. Wenn ich dann mal so oft gehustet hab:
„Ja, komm, weniger rauchen!“
Auch wenn das natürlich ein Spaß ist. Wenn man das das eine oder andere Mal gehört hat, ist es natürlich schon nervig.

Dann jetzt zu den schönen Dingen: Was bedeutet Glück für dich?

T: Für mich ist Glücklichsein, dass ich einfach zufrieden bin mit der jetzigen Situation. Dass ich nach vorne schauen kann, in die Zukunft, ohne mich immer nur auf diese Krankheit zu konzentrieren.
Also, ja, das … das ist einfach ein schönes Gefühl, dass ich zufrieden damit sein kann. Dass ich auch andere Dinge planen kann.

Planen – wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?

T: Meine Zukunft sieht eigentlich so aus, dass ich irgendwann natürlich auch eine Familie haben möchte, mit Kindern. Dass ich einfach die Möglichkeit habe Dinge auszuprobieren, die ich früher nicht ausprobieren konnte.
Ich möchte auf jeden Fall einen Job haben, der mich mit Leidenschaft erfüllt und bei dem ich sehe, dass ich Menschen in irgendeiner Weise helfen kann.
Dass mir Menschen sagen:
„Hey, es hat mir wirklich auch geholfen, was Du gemacht hast!“
Dass einfach ein Sinn dahintersteckt. Dass ich sehen kann:
Ja, okay, meine Arbeit erreicht wirklich jemanden.
Das ist so einer meiner Träume:
Dass ich das erreiche.

Das hört sich nach schönen Plänen an. Ich drücke die Daumen.
Zum Schluss noch eine große Frage: Was bedeutet Behinderung für dich?

T: Ich habe teilweise das Gefühl, dass Menschen nicht so sensibel sind, weil ich schon immer wiedersehe, dass, wenn man eine Person mit Behinderung sieht, dass man direkt Mitleid hat.
Und ich, für mich persönlich, habe enorm viel dadurch gelernt. Also auch von der Erfahrung her habe ich gemerkt, dass ich einfach vielen voraus war, weil das eine gewisse Erfahrung ist, die man bekommt. Und ich sehe auch … Für mich war es teilweise ein Geschenk, muss ich sagen.
Weil ich eben denke, dass es mich von vielem Schlechten, auch vielen schlechten Menschen, weggehalten hat. Von schlechten Dingen. Und mir nochmal gezeigt hat:
Den Wert des Lebens und was man wirklich machen sollte mit seinem Leben. Ich meine, wir verschwenden, glaube ich, viel Zeit im Leben. Und einfach sozusagen den Sinn hinter dem Leben – dass man zumindest danach suchen sollte, jede und jeder. Zu sehen, dass man nicht einfach nur auf der Welt irgendwie sein sollte, einfach nur um da zu sein, sondern wirklich auch was daraus machen sollte.

Tayfun Şenel

Tayfun Senel wurde 1993 in Berlin geboren. Seit seiner Geburt hat er die Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose. Weiter ist er an Diabetes und einer Leberzirrhose erkrankt. 2015 unterzog er sich einer erfolgreichen Organtransplantation, die sein Leben gerettet hat. Seitdem startet Tayfun richtig durch und hat 2018 ein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens begonnen.